Campus Maschinenbau in Garbsen ist eröffnet
Nach knapp vier Jahren Bauzeit wurde am Donnerstag, den 19. September 2019, der Campus Maschinenbau der Leibniz Universität Hannover (LUH) in Garbsen offiziell eröffnet – das größte Hochschulbauprojekt des Landes Niedersachsen. Im Oktober beginnt dort der Lehrbetrieb.
Informationen der Leibniz Universität Hannover
Gedanken zum Entwurf, von Philipp Auer
In Zeiten von Exzellenzstrategien, Bildungsinitiativen und Hochschulrankings kommt der Hochschularchitektur und ihrer stadträumlichen wie gesellschaftlichen Einbindung eine immer größere Bedeutung zu. Denn schon längst beschränkt sich das Suchprofil der Studierenden nicht mehr nur auf das Lehrangebot, sondern ausschlaggebend werden immer mehr so genannte „weiche Faktoren“: Wo werde ich wohnen? Wie sieht die Innenstadt aus? Wo geht man abends hin? Was kann ich in meiner Freizeit unternehmen? Und nicht zuletzt: Wie sieht die Hochschule eigentlich aus, an der ich einen großen Teil meiner Studienzeit verbringen werde? Erst die Mischung aus all den genannten Faktoren führt dazu, dass man sich mit dem Hochschulstandort identifiziert, dass man am Ende glücklich ist, dort studieren zu können.
Eine Hochschule muss heute viel mehr leisten als die simple Addition von Funktionen. Denn das Angebot einer modernen und wettbewerbsfähigen Institution umfasst nicht nur die bloße Bereitstellung von ausreichend großen und gut ausgestatteten Räumlichkeiten. Und auch die Qualität der Lehre bemisst sich nur zum Teil am Renommee des Lehrpersonals. Es ist die konzentrierte Anordnung von Instituten an einem einzigen Standort und die damit einhergehende räumlich und technisch enge Vernetzung, die die gewünschten Synergien in Forschung und Lehre erzeugen.
Im Frühjahr 2013 wurden wir zur Teilnahme am Wettbewerb für den zweiten Bauabschnitt des Campus Maschinenbau am Standort Garbsen eingeladen, mit dem die Leibniz Universität Hannover künftig einen Ort mit hervorragenden Ausbildungs- und Forschungsbedingungen für die einzelnen Institute bereitstellen will. Den räumlichen Zusammenhängen und der damit einhergehenden interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb der gesamten Fakultät kommt dabei die allerhöchste Bedeutung zu.
Doch wie muss ein moderner Campus aussehen, der die genannten Aspekte, insbesondere den Gedanken der Vernetzung, bestmöglich abbildet? Die bloße Konzentration von Instituten an einem Standort reicht dafür ja noch nicht aus. Mit dem städtebaulichen Masterplan von O&O Baukunst als Grundlage für den Wettbewerb lag da bereits ein starkes Grundgerüst für einen lebendigen Hochschulstandort vor: Ein großer zentraler Campus mit viel Grün, um den sich sowohl das bestehende Produktionstechnische Zentrum Hannover (PZH) als auch die Institutsbauten und das Forschungsgebäude DEW anordnen. Es war zunächst dieses großzügige Freiraumangebot im Zentrum der Anlage, das uns faszinierte – ihm sollte sich die Architektur unterordnen, mit ihm sollte sie in Interaktion treten. Die Gliederung der Fassaden der Institutsbauten in ein robustes Rahmenwerk mit durchgängigen Kolonnaden Richtung Campusmitte und die als „Tische“ eingestellten Sonderbauten der Mensa und des Hörsaalgebäudes waren die logische Konsequenz dieser Überlegungen: Transparenz als verbindendes architektonisches Gestaltungselement.
Das Ergebnis des Planungsprozesses, der in enger Abstimmung mit den Nutzern erfolgte, ist ein kompakt organisiertes Raumgefüge mit Forschungseinrichtungen auf allerhöchstem technischem Niveau. Dem gegenüber zeigen sich die großzügigen, mehrgeschossigen Foyers, der Speisesaal und das Hörsaalgebäude als lichtdurchflutete Treffpunkte. Es ist diese Dualität, die den Charme des neuen Campus ausmacht: Konzentriertes Arbeiten am Prüfstand wechselt sich ab mit ungezwungenem Austausch im gläsernen „Pavillon“ auf der Campuswiese: Wenn es den Begriff „Research-Life-Balance“ gäbe, hier darf er gelebt werden.
Architektonisch drängt sich die technische Ausstattung des Campus nicht in den Vordergrund, denn wir verstehen die Gebäude in ihrer kraftvollen und doch zurückhaltenden Erscheinung eher als „Plattformen der Möglichkeiten“, als „Forschungs-Werkstätten“ im Wortsinn. Gerade diesen Kontrast wollten wir herausarbeiten: Präzision und Hochtechnologie der technischen Anlagen treffen auf handwerklich bearbeitete Flächen und eine spürbare Robustheit der Gebäude, die in ihrer Rauigkeit einen fließenden Übergang zu den umgebenden Freiflächen bilden und mit ihnen zu einer Gesamtkomposition verschmelzen. Das Äußere der Gebäude sollte nur zum Teil vorwegnehmen, was in ihrem Inneren passiert.
Der Werkstattcharakter bestimmt aber auch die Innenraumgestaltung, und zwar nicht nur in den Forschungs- und Laborflächen, sondern in allen Bereichen des Campus. Ob studentischer Arbeitssaal oder Einzelbüro der Verwaltung – Sichtbetonflächen, zum Teil offen geführte Installationen und unverkleidete Deckenuntersichten werden zum alle Gebäude verbindenden Standard und stärken den Plattformgedanken.
Jedes Gebäude am Campus Maschinenbau, angefangen vom bestehenden PZH im Osten bis hin zum Studierendenzentrum im Westen, das den vorläufigen Abschluss der Campusentwicklung im zweiten Bauabschnitt bildet, ist ein eigenständiger Baustein innerhalb eines großen gestalterischen Ganzen, sozusagen ein eigenständiges Mitglied einer Familie. Bei der Entwicklung des Farb- und Materialkonzepts für den Campus, für das wir den Schweizer Künstler Jörg Niederberger gewinnen konnten und das an den Außenwänden mit strukturierten Putzflächen und zweischichtigen Farbaufträgen arbeitet, ging es uns dabei immer um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen individuellem Aus- druck des Einzelgebäudes auf der einen Seite und Gesamtklang des Ensembles auf der anderen. Nicht von ungefähr benutze ich an dieser Stelle die Begriffe „Klang“ und „Ensemble“, denn ich möchte unsere Herangehensweise durchaus als etwas Musikalisches beschreiben. Farbklang, Klangfarbe – die Begriffe und die Art der Wahrnehmung sind durchaus verwandt. Und es geht um Individuum und Gemeinschaft – gerade auf einem Forschungscampus sollten beide ein „klingendes“ Verhältnis eingehen können.
Die Oberflächenstrukturen in Kombination mit den bichromen Farbaufträgen, die die Gebäude je nach Blickwinkel in unterschiedlich kräftigen Farbtönen aufleuchten lassen, können insofern als gestalterischer Hinweis verstanden werden, dass auch in Wissenschaft und Forschung unterschiedliche Fragestellungen und Sichtweisen zu überraschenden und immer wieder neuen Erkenntnissen führen können.
Die räumliche Tiefe der Wandstrukturen und die Gebäudegrundfarben, die sich im Gebäudeinneren in Form von Betonlasuren und farbig abgetönten Wandfarben fortsetzen, schaffen unterschiedliche Identitäten innerhalb eines großen Ganzen, zugleich jedoch bilden die korrespondierenden Farben der äußeren Farbschichten eine verbindende Klammer zwischen den Gebäuden.
Nicht zuletzt die Freiflächengestaltung von Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten, die eine große verbinden- de Grünfläche mit locker ein- gestellten Bäumen und improvisierten Wiesenwegen zwischen PZH und Studierendenzentrum vorsieht, spielt künftig eine zentrale Rolle im täglichen Campusleben, in- dem ihr selbstverständlich der Brückenschlag über die Straße An der Universität gelingt und sie dadurch den Anspruch an einen vitalen Campus als Platz zum Lernen, Arbeiten und Leben wie ein starkes Symbol unterstreicht.